Wo lebt es sich besser? - In der Box oder in der Gruppe? von Dr. Margit H. Zeitler-Feicht

Ist ein Leben in der Box für Pferde artgemäß? Diese Frage stellt sich der Pferdefreund heute immer öfter. Vor nicht allzu langer Zeit wurde die dauerhafte Anbindehaltung für Pferde in der Schweiz, Österreich und Deutschland verboten. Im Vergleich dazu würde es den Pferden in der Box besser gehen – sagt man. Einzelhaltung in der Box ist nach wie vor im deutschsprachigen Raum die häufigste und beliebteste Aufstallungsform. Als Vorteile werden genannt: Die Pferde sind gut geschützt vor gegenseitigen Verletzungen und man kann sie individuell füttern und betreuen. Außerdem sind sie für den Reiter stets verfügbar.

 

Doch welche Nachteile hat Boxenhaltung? Oder umgekehrt „was braucht ein Pferd, um sich wohl zu fühlen“? Dazu gehört an erster Stelle Sozialkontakt. Pferde sind Herdentiere. Sie brauchen Artgenossen, um sich sicher und wohl zu fühlen. Und noch mehr! Pferde haben das Bedürfnis einen Freund zu haben mit dem sie Fell kraulen, gemeinsam Dösen und Fressen können. In vielen Boxen ist der Sozialkontakt eingeschränkt. Die Pferde können sich zwar sehen, riechen und hören, aber nicht berühren. Im Extremfall ist sogar der Sichtkontakt kaum oder gar nicht möglich. Zu stark eingeschränkter Sozialkontakt führt nachweislich zu Verhaltensstörungen.

 

Ebenso wichtig wie Sozialkontakt ist Bewegung. Pferde sind Bewegungstiere. Sie haben das Bedürfnis sich täglich mehrstündig frei fortzubewegen, am besten im Sozialverbund während der Nahrungsaufnahme. Unter natürlichen Bedingungen laufen Pferde täglich bis zu 16 Stunden lang und legen dabei zwischen 6 bis 10 km zurück. Von Fortbewegung kann man in der Box eigentlich nicht sprechen. Es gibt eine Doktorarbeit, in der analysiert wurde wie sich Pferde in der Box bewegen. Nur 20% der Schritte gehen geradeaus, und das wäre die normale Fortbewegung. Die meisten Schritte sind drehend, rückwärts oder seitlich und somit eher belastend für die Gelenke, Sehnen und Bänder. Zu wenig Bewegung führt zu Erkrankungen bzw. Schäden am Bewegungsapparat, disponiert zu Atemwegserkrankungen und beeinträchtigt den gesamten Stoffwechsel. Darüber hinaus finden zahlreiche unerwünschte Verhaltensweisen und Verhaltensstörungen ihren Ursprung im Bewegungsmangel. Neueste Untersuchungen beweisen, dass der Stresslevel bei Pferden in Boxenhaltung ohne Auslauf am höchsten ist.

 

Es genügt nicht Pferde täglich zu reiten oder sie in die Führanlage oder aufs Laufband zu stellen. Sie müssen sich frei bewegen dürfen, nur so können sie entspannt dahinschlendern oder einmal abbuckeln, um Verspannungen zu lösen. Deshalb gilt folgende Forderung: Pferde müssen sich - unabhängig von der kontrollierten Bewegung - täglich mehrstündig freilaufend auf der Koppel fortbewegen können und dies in allen Gangarten. Schon ein zweistündiger Weidegang erhöht nachgewiesenermaßen die Bewegungsaktivität und verhilft Stress zu reduzieren!

 

Das Erkundungsverhalten darf man auch nicht vergessen. Pferde sind Fluchttiere und wollen deshalb stets ihre Umgebung beobachten können. Nur dann fühlen sie sich sicher und wohl. In geschlossenen Boxen ist das kaum bzw. nicht möglich. Es kommt unter diesen Bedingungen zu Reizverarmung, sie erschrecken wegen Nichts, zeigen Verhaltensauffälligkeiten wie Gitterstäbewetzen oder werden apathisch.

 

Ein großes Problem ist die Fütterung. Das bezieht sich allerdings nicht nur auf die Einzelhaltung, sondern auch auf die Gruppenhaltung. Pferde wollen sich über den Tag verteilt und auch in der Nacht immer wieder mit der Nahrungsaufnahme beschäftigen. Fressen entspannt. Arttypisch für unsere Pferde ist eine Fressdauer von 12 bis 18 Stunden am Tag. Unter unseren Haltungsbedingungen sind es mitunter nur 4 bis 5 Stunden. Zu wenig Raufutter ist eine häufige Ursache für Erkrankungen wie Koliken und Magengeschwüre, die immer häufiger auftreten. Darüber hinaus ist Beschäftigungsmangel mit der Nahrungsaufnahme eine der Hauptursachen für Verhaltensstörungen beim Pferd. Man kann am Verhalten sehr gut erkennen, ob ein Pferd mit Raufutter unterversorgt ist.

 

In einer tiergerechten Pferdehaltung besteht ein Dauerangebot an rohfaserreichem Futter. Zumindest ist es währen zumindest 12 Stunden täglich anzubieten. Dabei sollten die Fresspausen möglichst nicht länger als 4 Stunden sein. Bei leichtfuttrigen Pferde, die zu Verfettung neigen, kann man über Maßnahmen wie engmaschige Netze oder Sparraufen ein überhöhtes Nährstoffangebot vermeiden.

 

Fassen wir zusammen: Boxenhaltung ist nicht artgemäß, sie steht per se im Widerspruch zum angeborenen Verhalten der Pferde. Aber es besteht die

Möglichkeit sie weitgehend artgemäß zu gestalten! Und das muss genutzt werden! Eine Möglichkeit ist die möglichst offene Gestaltung der Boxenfrontseite oder ein stets geöffnetes Außenfenster bzw. besser noch ein Paddock, der Berührungskontakt erlaubt. Durch diese baulichen Maßnahmen lassen sich die Teilnahme der Pferde am Geschehen in ihrem Haltungsumfeld sowie der Sozialkontakt zu ihren Stallgenossen verbessern. Ganz entscheidend sind jedoch die Managementmaßnahmen. Dazu gehören an erster Stelle die Möglichkeit zu täglich mehrstündigem Koppelgang im Sozialverbund sowie eine ausreichend lange Beschäftigungsdauer mit der Futteraufnahme.

 

Leider zeigt die Praxis, dass noch vieles im Argen liegt. Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen, dass die Tiere oftmals keinen täglichen Auslauf haben und dieser häufig witterungsabhängig ist. Außerdem werden sie mitunter nur drei bis viermal in der Woche geritten. Aber die unzureichende Befriedigung der pferdespezifischen Bedürfnisse wie freie Fortbewegung, soziale Kontakte sowie lange Fresszeiten führt zu Stress. Manche Pferde zeigen uns diesen recht deutlich, andere dösen nur vor sich hin - das ist dem Menschen sehr angenehm, weil es unfällig ist! Doch Schlagen gegen die Boxenwände, Wetzen an den Gitterstäben, Lippen lecken und Zunge spielen, bis hin zu Koppen, Weben und Boxenlaufen sind deutliche Alarmsignale unserer Pferde. Diese gilt es ernst zu nehmen! Es ist die einzige Möglichkeit der Pferde uns zu zeigen, dass ihre Welt absolut nicht in Ordnung ist! Verhaltensstörungen sind Indikatoren für Leiden. Sie stellen sich ein, wenn die Haltung so restriktiv bzw. schlecht ist, dass es dem Tier nicht mehr möglich ist sich anzupassen. Meine Arbeitsgruppe „Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz“ an der Technischen Universität München-Weihenstephan fand in einer bundesweiten flächendeckenden Situationsanalyse (414 zufällig ausgewählte Pferdehaltungen, insgesamt 2927 Pferde) heraus, dass ein Drittel der Boxenpferde auffälliges Verhalten zeigt, über 9% der untersuchten Pferden zeigte bereits manifeste Verhaltensstörungen.

 

Ist Gruppenhaltung nun besser? Die Antwort ist ja, … aber. Das „Ja“ bezieht sich darauf, dass Gruppenhaltung artgemäß ist. Am besten werden die Bedürfnisse im Offenlaufstall mit getrennten Funktionsbereichen und insbesondere bei der Freilandhaltung auf der Weide erfüllt. Die Tiere haben uneingeschränkten Sozialkontakt, freie Bewegung sowie die Möglichkeit zum Sozialspiel, zur Erkundung, zur Körperpflege und zum Aufenthalt unter natürlichen Klimabedingungen. Das „aber“ ist allerdings sehr ernst zu nehmen. Denn so gut wie diese Haltungsform vom Grundansatz her ist, so schlimm kann es für das Einzeltier sein, wenn Fehler gemacht werden. Folgen davon sind Verletzungen und Benachteiligungen von rangniedrigen Tieren insbesondere im Fütterungs- und Liegebereich.

 

Was sind die Fehler?

 

Fehler Nr. 1 ist zu wenig Platz! Platz ist wichtig! Je größer das Platzangebot in Auslauf-, Liege- und Fressbereicht ist, desto leichter können rangniedrige Tiere ausweichen.Verantwortungsbewusste Betriebsleiter planen 100 qm und mehr Auslauffläche für ein Pferd ein. Wichtig ist zudem die Trennung in Funktionsbereiche z.B. in Ruhe- bzw. Liegebereich, Fressbereich, Auslaufbereich mit Wälzplätzen usw. Dabei schaffen Raumteiler, die einen Rundlauf ermöglichen, zusätzliche Ausweichmöglichkeiten. Sie sind im Bereich der Versorgungseinrichtungen (Fressbereich, Tränke) von größter Bedeutung. 

 

Fehler Nr. 2 sind die Konzeptionsfehler. Es dürfen keine Engpässe und Sackgassen vorhanden sein. Sackgassen sind tierschutzrelevant, da sie keinen Fluchtweg mehr offen lassen, wodurch gefährliche Situationen provoziert werden.

 

Fehler Nr. 3 sind zu wenig Kenntnisse: Oberstes Gebot bei Gruppenhaltung ist, dass der Betreiber sich mit Pferden und ihrem Verhalten sehr gut auskennt und das nötige Fingerspitzengefühl hat, problematische Situationen schon im Vorfeld zu erahnen. Das erfordert ständige Fortbildung!

 

Fehler Nr. 4 sind die Managementfehler: Diese sind wohl am häufigsten! Wir haben unter unseren Haltungsbedingungen einfach andere Verhältnisse als in der freien Wildbahn. Denn bei all unseren Gruppenhaltungen sind das Platzangebot und die Ausweichmöglichkeiten beschränkt. Zudem können die Pferde ihre Gruppenzugehörigkeit nicht frei wählen und über den Zugang zu den Ressourcen wie Futter, Wasser und Witterungsschutz bestimmt der Mensch. Beispiele für Managementfehler sind:

  • Fehler bei der Eingliederung von Neuzugängen,
  • Zusammenstellen von Pferden, die sich nicht miteinander vertragen,
  • Das Nichterkennen von Benachteiligungen einzelner Tiere,
  • Rationierte Fütterung bei zu wenigen Fressplätzen,
  • Ein einziger Witterungsschutz für zu viele Pferde oder
  • Eine enge, unübersichtliche Liegehalle, die von ranghohen Tieren blockiert wird.

Unter solchen Bedingungen ist Gruppenhaltung nicht mehr tiergerecht. Und das ist leider in der Praxis nicht selten. Doch richtig gemanaget, bei ausreichend Fläche und guter Konzeption können Pferde im Offenlaufstall mit getrennten Funktionsbereichen pferdegerecht leben. Wir konnten in mehreren Studien nachweisen, dass bei gut geführten Gruppenhaltungen kaum Drohgesten zu beobachten sind und das Risiko für gefährliche Verletzungen durch Hinterhandschlag gering ist.

 

Lassen Sie mich zusammenfassen:

 

Jede Haltungsform hat für unsere Pferde Vor- und Nachteile. Sowohl die Gruppen- als auch die Einzelhaltung lässt sich jedoch über bauliche und insbesondere über die richtigen Managementmaßnahmen tiergerecht gestalten. Es liegt an uns dies zu tun und dieses Wissen weiter zu verbreiten zum Wohle unserer Pferde!

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